Geschichte von Ines Wagner.

Energieeffizienz

Mit sanftem Fauchen schwebt ein großes Werbebanner quer übers Haus. „Was ist das denn?“ tönt es laut vom Balkon. Nanu, hat er noch nie einen Heißluftballon gesehen? Urs ist gern auf meinem Balkon. Soeben noch hatte er begeistert ausgerufen: „Deine Blumen blühen echt fantastisch, oder?“ Da muss ich zustimmen, für einen so kleinen Balkon ist es eine großartige Pracht. „Urs, alles okay?“ rufe ich aus der Küche. Ich koche uns gerade zwei Frühstückseier nach der Ogi-Methode, während draußen die Spatzen lautstark streiten. Wenn Urs zu Besuch ist, dreht sich alles um Energieeffizienz. Er ist ein erfahrener Spezialist in diesem Bereich. Jetzt aber steht er mit meiner gelben Plastik-Gießkanne in der Balkontür und wiederholt seine Frage. Ich konnte mich bisher noch nicht von ihr trennen, auch wenn ich mich bemühe, nach und nach alle Gegenstände aus Kunststoff aus dem Haushalt zu verbannen. Aber wenn ich diese alte Gieskanne wegwerfe, um eine neue, beispielsweise aus Blech zu kaufen, dann habe ich ja auch wieder Plastikmüll produziert. Gar nicht zu reden von der Energie, die für die neue Kannenherstellung verbraucht würde. Ich habe einfach noch keine Lösung für mein Gießkannenproblem. Urs zeigt indes streng mit dem Zeigefinger in die Kanne hinein und erwartet eine Antwort. „Blumengießwasser“, erwidere ich schulterzuckend.

„Komm erst mal frühstücken“, sagte ich in der Hoffnung, er gäbe sich damit im Augenblick zufrieden. Weit gefehlt. Wenn Urs etwas hinterfragt, dann hinterfragt er etwas. Und zwar genau. Diesmal hinterfragt er die ungewöhnliche Farbe des Inhalts meiner Gießkanne. „Also“, gebe ich zu Protokoll, nachdem er sein perfekt gekochtes Ogi-Ei inspiziert und nichts zu beanstanden hatte, „das mit dem Blumengießwasser ist so: Ich war doch im letzten Sommer im Waldviertel in Österreich. Da war eine irre Trockenperiode. Ich war Gast auf einem Hof zwischen Waldrand und Feldern, und es gab einfach kein Wasser. Statt das WC zu benutzen, haben wir in den Wald gepieselt, statt zu duschen, sind wir in den nahegelegenen Weiher baden gegangen und Zähne haben wir an der Regentonne geputzt.“ Urs schaut mich geduldig, aber verständnislos an. Ich weiß, er schielt insgeheim nach der gelben Gießkanne und fragt sich, ob ich beim gleichen Thema bin wie er. „Um es abzukürzen,“ sage ich deshalb: „…seitdem spare ich Wasser“. Ich erkläre ihm, dass der Inhalt meiner Gießkanne aus Resten von grünem und schwarzen Tee bestünde, gemischt mit Nudelwasser, Wasser, mit dem ich Reis gewaschen habe und dem vom Spargel, weil ich keine Lust hatte, es für eine Spargelsuppe aufzuheben. „Und das gibst du den Blumen?“ fragt er, immer noch angewidert. „Du hast doch selbst gesagt, dass sie fantastisch aussehen, die Blumen“, sage ich, „und was für Menschen gut ist, warum soll es für Blumen schlecht sein?“.

„Kaffee?“ fragt er. Ich fange an, rumzudrucksen. Heikles Thema. Mit meiner Nespresso-Maschine, die ich vor ein paar Jahren gekauft habe, ist es wie mit der Plastikgießkanne. Jetzt hab ich sie nun einmal. Ganz sicher würde ich sie heute nicht noch einmal kaufen. Soll ich sie aber weggeben, damit jemand anders damit Kapselmüll produziert und ich ein reines Gewissen habe? „Kaffee leider nicht“, sage ich, „obwohl den die Rosen gern mögen, aber mit den verdammten Kapseln gibt’s keine Kaffeereste.“ Nein, er meint jetzt allerdings, ob er noch einen Kaffee haben könne. Freilich! Ich bin froh, dass er nicht weiter auf das Thema „Kaffee in Kapseln“ einsteigt. Aber jetzt kommt sicher der Vortrag, dass das ganze Wassersparen der Umwelt auch nicht hilft, denn seit so viel Wasser gespart würde, müsste ja die Wasserwirtschaft täglich mehrere Millionen Liter Wasser zusätzlich durch die Rohre pumpen, damit die ganzen Anlagen nicht verkeimen. Eines der großen Öko-Irrtümer unserer Zeit. Aber auch davon kommt nichts. Ich bin erleichtert, ein entspanntes Frühstück. Ich drücke auf den Knopf und lasse noch einen Lungo aus der Maschine.

„Eierwasser auch nicht!“, sage ich nicht ohne Stolz. „…im Gießwasser“, und knüpfe am alten Thema wieder an. Schliesslich war Urs derjenige, der mir das Eierkochen nach der Ogi-Methode beigebracht hat. Der Schweizerische Bundesrat Adolf Ogi habe vor laufender Kamera ein Ei mit der optimalsten Energieeffizienz auf einem Elektroherd gekocht, mit nur einem Fingerbreit Wasser, hatte Urs mir mit der Detailtreue eines Spezialisten bei der Wanderung am Stanzerhorn erklärt. „Also das gleiche Prinzip wie ein Eierkocher?“, hatte ich gefragt. „Genau, nur ohne dass du noch ein zusätzliches Elektrogerät im Haushalt brauchst, das Strom frisst“. Jetzt sitzt er nachdenklich am Frühstückstisch. Dann springt er auf und holt den kleinen Kaffeekocher aus dem Rucksack, mit dem er seinen Espresso am Berg zubereitet. Den drückt er mir in die Hand. „Hier“, sagt er, „für deine Rosen!“ Tatsächlich sehen die Rosen inmitten der Blütenpracht ehr traurig aus. „Aber weisst du was dir fehlt?“, fragt er mit einem Siegerlächeln, dass nur Männer zustande bringen. Ich zucke mit den Schultern. „Ein Grill auf deinem Balkon! Ein Energiespar-Grill!“

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